Wilhelm, ein kleiner Säugling erzählt aus seinem Leben

(C) Petra Schwaiger

stillbabyIch bin ein Neugeborenes, vielleicht ein paar Stunden oder Tage alt. Alles ist neu und ungewohnt für mich. Ich kenne mich nicht aus. Und unter uns gesagt, deshalb möchte ich die ganze Zeit bei meiner Mama sein. Dort fühle ich mich sicher und geborgen. Am liebsten mag ich es, wenn wir beide dabei nackig sind. Wenn ich nur meine Windel anhabe und meine Mama mich auf ihre Haut legt, dann fühle ich mich einfach rund um wohl.

Wenn ich hungrig werde und anfange zu schmatzen und meine Fingerle in den Mund stecke, kann meine Mama das sehen und hören, mich dann gleich rausnehmen und anlegen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich auch noch geduldig und es macht mir nichts, dass meine Mama noch nicht so geübt ist. Später werden wir so ein super Team werden. Die ersten Tage muss Mama das Anlegen mit mir üben, dass ist ganz normal. Sie muss darauf achten, dass ich die Brustwarze richtig weit in den Mund bekomme. Einen Schnuller brauche ich nicht.

Ich möchte in den ersten Tagen ganz oft saugen und kleine Mengen von dem leckeren Kolostrum trinken. Das schmeckt mir und mein kleiner unreifer Magen kann sich langsam an die steigende Milchmenge gewöhnen. Ich brauche keine weitere, zusätzliche Flüssigkeit und ich will auch nicht aus einer Flasche trinken, das ist Bäh!

Manchmal bin ich in den ersten Tagen aufgeregt. Da sind so viele Leute und lauter ungewohnte Geräusche. Außerdem muss ich dieses zähe schwarze Mekonium rausdrücken. Das ist der erste Stuhlgang von Babys. Ich bin das aber nicht gewohnt, dass sich in meinem Bauch so viel tut. Manchmal erschrecke ich deswegen und muss weinen. Dann nimmt Mama mich zu sich und wenn sie mich stillt, hilft mir das, weil Kolostrum abführend wirkt. Ich tue mir dann leichter mit dem Rausdrücken.

Je weiter ich von meiner Mama weg bin, desto aufgeregter werde ich. Mein Blutdruck steigt und ich fühle ich richtig gestresst. Gott sei Dank kann sich meine Mama sowieso kaum von mir trennen.

In der Klinik ist so viel los. Alle sagen was anderes. Und meine Mama weiß manchmal gar nicht, wo ihr der Kopf steht, weil ständig die Tür aufgeht und irgendjemand irgendwas will. Einmal hat Mama zu Papa gesagt, dass sie sich total darauf konzentrieren muss, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Weil meine Mama wollte mich unbedingt stillen und sie hat heldenhaft sämtliche Schnuller und Fläschchen abgewehrt.

Als ich drei Tage alt war, bin ich in mein Zuhause umgezogen.

Mama und Papa haben mich auf dem Arm hinaus in die Welt getragen. Das war vielleicht spannend. Mama und Papa waren sehr aufgeregt und ich erst, meine Güte. Für den Weg nach Hause musste ich dann in diesem Autositz sitzen. Man war das eng. Und als ich dann zu Hause bei Mama getrunken habe, war ihre Brust auf einmal ganz prall und heiß. Ich konnte die Brustwarze gar nicht richtig fassen. Da hat Mama vorher warme Umschläge gemacht, dann ging es leichter. Die Milch ist viel besser rausgelaufen.

Manchmal hat Mama laut aufgeschrien, wenn ich mich wie wild auf die Brustwarze gestürzt habe. Wenn ich zu wild war, war ihre Brustwarze nicht weitgenug in meinem Mund. Das hat Mama dann ganz doll weh getan. Sie hat mich wieder abgedockt und ich musste nochmal von vorn anfangen. Manchmal hatte ich dazu aber gar keine Lust. Dann wurde ich sauer und habe voll angefangen zu schreien. Als Mama mich schon bisschen besser kannte und ganz ruhig blieb, blieb ich auch ruhiger und es hat gut geklappt. Ich wollte ja Mama auch nicht weh tun, dass passiert einfach, weil ich noch üben muss.

Mama war am dritten Tag nicht mehr so richtig zu Späßchen aufgelegt. Sie musste manchmal ohne Grund weinen. Oder hat auch mal einfach so mit Papa geschimpft und fühlte sich überfordert und gereizt. Ich glaub, dass kommt von den Hormonen. Da hat Papa ein Gläschen Sekt mit Mama getrunken und versucht ganz lieb mit ihr zu sein und sie zu trösten.

Leider kann ich noch nicht so lange schlafen, ich möchte auch nachts bei meiner Mama trinken. Das ist normal. Meine Kollegen und Kolleginnen machen das auch. Die wollen auch alle 1½ – 2 Std. , oder anders gesagt gut und gerne 8-12 x innerhalb von 24 Stunden, trinken. Ich glaube, man nennt das, physiologisches Verhalten von Neugeborenen. Wenn die großen Menschlinge sich das mal merken könnten, wie schön wäre die Welt dann.

Nur meine Oma und eine Tante von Papa aus Sonstwo sagen meiner Mama ständig, dass sie mich verwöhnen, wenn Mama mich so viel bei sich hat und mir so oft zu Essen gibt. Sie behaupten, Babys würden einen strengen 3-4 Stunden Rhythmus brauchen. Brrrr. Das fand ich echt zum Kotzen.

Dann bekomme ich Angst und zwar deswegen, weil meine Mama ganz verunsichert ist und weint, weil sie meint alles falsch zu machen. Oje, das ist schrecklich! Mama ist dann so traurig, weil alles drunter und drüber läuft. Der Haushalt ist auch ein bisschen chaotisch.

Und ich muss auch weinen, weil ich schon wieder saugen möchte. Aber Mama meint dann, dass mit mir oder ihrer Milch etwas nicht stimmt.

Jetzt werde ich ganz hektisch, ich fange an mit meinen Armen und Beinen zu wedeln und zu strampeln, richtig wild werde ich, um Mama meine Empörung zu zeigen. Sie soll nicht denken, mit mir oder ihr stimmt was nicht. Ich weiß doch, dass ich Recht habe und Mama die Beste ist.

Meine Mama hat meine Aufregung leider ziemlich in den falschen Hals bekommen. Das Stillen hat, weil wir beide so aufgeregt waren, natürlich nicht mehr richtig geklappt. Da hat sie unter Tränen ihre beste Freundin angerufen. Der hat sie gesagt, dass sie denkt, ich lehne sie ab. So ein Blödsinn. Wenn ich schon groß und vernünftig wäre, könnte ich das jetzt schon verstehen. Ich hab vor lauter Aufregung mit meinen Fäustchen auf ihre empfindliche Brust getrommelt und konnte die Brustwarze nicht richtig finden. Dann waren wir beide so aufgeregt, dass alles immer schlimmer wurde.

Gut, dass Papa heim kam. Der hat natürlich ein bisschen komisch aus der Wäsche geguckt, weil Mama und ich völlig aus dem Häuschen waren. Und in der Wohnung hat es ausgesehen – na, Prost Mahlzeit. Papa wollte eigentlich Sportschau gucken und Zeitung lesen. Aber über dem Fernseher hingen vollgespuckte Windeln und auf dem Sofa saßen Mama und ich – weinend zwischen Wäsche, Ratgeber-Broschüren und Telefon. Papa hat ziemlich hilflos ausgesehen. Aber dann war er richtig toll.

Papa hat Mama in den Arm genommen. Er hat gesagt, das er sie liebt und es wahrscheinlich geschickter gewesen wäre, er wäre nicht weggegangen. Mama hat ihm von Oma erzählt und mir und der ganzen Aufregung. Und Papa hat sich alles angehört und dabei hat er mich gestreichelt und mich zärtlich angesehen. Mama hat sich beruhigt und nochmal probiert mich anzulegen. Gott sei Dank, jetzt hat’s geklappt. Ich konnte die Brustwarze gut fassen und hab mich in aller Ruhe satt und zufrieden getrunken.

In der Zwischenzeit ist die beste Freundin meiner Mama gekommen und hat Kuchen mitgebracht. Sie hat Papa beim Aufräumen geholfen und sie haben gemeinsam Essen gerichtet.

Zum Schluss saßen alle gemeinsam im Wohnzimmer. Ich durfte die ganze Zeit bei Mama kuscheln. Papa hat Mama kleine Häppchen in den Mund gegeben, damit sie trotzdem satt wird.

Das Beste war, dass Mama wieder glücklich war. Alle haben mich bewundert, während ich im Arm von Mama so getan habe, als ob ich schliefe. Ständig haben sie gesagt, wie süß ich sei und dabei haben sie mich voll verliebt angesehen.

Papa hat dann die Oma und die Tante angerufen und ihnen die Meinung gesagt. Er hat sich richtig aufgeregt, und Ihnen erklärt, dass es total veraltet sei was sie sagen, und es völlig normal ist, wie ich mich benehme und wie wichtig es für Babys ist, besonders in den ersten Tagen ganz viel bei ihrer Mama zu sein. Er hat ganz viel von Gehirnentwicklung und Vertrauen und so erzählt. Dabei hat Mama nicht mehr mich, sondern Papa verliebt angesehen.

Die Freundin von Mama hat für die nächsten Tage weiter ihre Hilfe angeboten. Mann, war das nett von ihr. Die Oma und die Tante kamen in den Wochen darauf und haben Mama bei der Wäsche geholfen und ab und zu für uns gekocht. Aber weitere RatSCHLÄGE haben sie sich gespart. So konnte sich Mama um mich kümmern und wir wurden ein super Team. Das war ein Leben, sag ich euch – ich hab mich gefühlt wie „Gott in Frankreich“.

Und obwohl ich anfangs Gewicht verloren habe, bin ich nun immer dicker geworden. Als ich zwei Wochen alt war, hat jemand zu Mama gesagt, ich würde langsam aussehen wie ein kleines Michelin-Männchen, weil ich schon hier und da Rundungen hatte. Also echt!

Am coolsten war Papa. Der hat sich echt für uns reingehängt. Zum Beispiel hat er eine besonders „Mutter-und-Kind“ freundliche Besucherlogistik eingeführt. So durften uns in den ersten Tagen und Wochen nur gesunde, sehr liebe und hilfsbereite Menschen mit Kuchen oder anderen Leckereien besuchen. Manchmal hat Papa auch gesagt, sie dürften, an statt Geschenke mitzubringen, stattdessen auch gerne die Schmutzwäsche mitnehmen. Da waren natürlich nicht alle begeistert, weil sie lieber Babysachen kaufen wollten. Aber die meisten haben verstanden, dass Zeit für eine junge Familie auch ein sehr schönes Geschenk ist.

Papa wusste, glaube ich, in der Schwangerschaft und ganz am Anfang gar nicht so recht, was nun seine Aufgabe ist und war auch sehr unsicher. Aber als er Mama und mich so hilflos und verzweifelt sah, wurde ihm auf einmal klar, dass es wohl seine Aufgabe ist, Mama und mich zu beschützen. Und Mama darin zu bestärken, dass sie alles richtig macht. Er hat sozusagen in den ersten Wochen, bildhaft gesprochen, ein schützendes Samtmäntelchen um Mama und mich gelegt.

In der Zeit darauf hat Mama, wenn sie sich nicht sicher war oder Schwierigkeiten hatte, sofort ihre Hebamme oder eine Stillberaterin* angerufen. So ließen sich anfängliche Probleme ganz leicht in den Griff bekommen. Als Mama sich mit mir aus dem Haus getraut hat, ist sie auch regelmäßig in einen Stilltreff * gegangen. Dort wurde sie jedes Mal bestärkt und lernte andere Mamas mit Babys kennen. Wenn sie dort war, war sie hinterher immer ganz zufrieden und hat sich richtig gut gefühlt. Natürlich habe ich mich dann auch gut gefühlt, weil es Mama so gut ging.

Der Clou war Papa. Als er irgendwo gelesen hat, dass Stillen etwa 100,- € im Monat spart, hat er Mama regelmäßig Blumen mitgebracht. Und damit Mama fit bleibt und weiterhin gute Milch für mich produzieren kann, hat er nur noch die leckersten Sachen eingekauft und oft für uns gekocht. Nach dem Essen ist er, so oft es ging, mit mir im Tragetuch spazieren gegangen, damit Mama ihr wohltuendes Schönheitsschläfchen halten kann. Das fand Mama natürlich wunderbar und weil es ihr so gut gefallen hat und sie so zufrieden war, ging es mir auch richtig gut.

Meine Mama und das sag ich euch, ist von allen die Beste. Wenn sie sich nicht durcheinander bringen lässt, dann weiß sie eigentlich immer haarscharf genau, was ich brauche. Instinktiv macht sie alles richtig.
Manchmal waren meine Eltern am Anfang schon sehr verunsichert, weil sie nicht genau wussten, warum ich weinen muss. Aber sie waren sich immer ganz sicher, dass ich nicht weine um sie zu ärgern.

(C) Petra Schwaiger